Teil 1: Warum wir Fans von Schleppleinen sind
Viele meiner Kunden kommen zu mir, weil das Ding mit der Leine einfach nicht klappt. Hund zieht wie Hechtsuppe, Mensch hat Schulter und Rücken, beide sind genervt und im Grunde immer heilfroh, wenn sie ihren täglichen Pflichtspaziergang absolviert haben und abhaken können. Mensch ist zusätzlich genervt, weil er um seine – wie er meint – verdiente Erholung beim Spaziergang kommt, Hund ist zusätzlich genervt, weil er einfach Null Chance hatte, seine Hundesachen zu erledigen.
Das erste, was ich mir ansehe, ist: wie geht dieses Team zur Tür, respektive zum Hundeplatztor hinaus. Und da erlebe ich die reinsten Dramen. Der Hund wird hektisch angeleint oder mit Kommandos zugetextet, damit er ja nicht davonrennt.
Frage am Rande: wo soll er denn hinrennen wollen? Nach Wladiwostok?
Dann gibts ein Mordsgedränge, wenn ich das Tor öffne, so als gäbe es einen Preis dafür, wer als erster draußen ist oder wer den anderen besser abhängen kann, so genau verstehe ich das auch nicht. Vor dem Tor habe ich kaum Zeit, das Tor zuzumachen, abzuschließen, meinen Schlüssel zu verstauen – das Mensch-Hund-Team ist schon fast vorne an der Straße.
Fast. Weil vorher stoppe ich die beiden. Schließlich möchte ich auch mitkommen, dafür werde ich ja auch bezahlt. Unter anderem. Ein weiterer Punkt ist: ich soll ihnen zeigen, wie man das mit dem Spaziergang an der Leine möglichst entspannt hinkriegt.
Habe ich schon erwähnt, dass ich die – meiner bescheidenen Ansicht nach – viel zu kurze und deshalb ungeeignete Leine gegen eine meiner Schleppleinen ausgetauscht habe? Nein. Dann hole ich das jetzt nach: dieser Hund geht jetzt an einer mindestens 10-Meter langen Leine – natürlich am Brustgeschirr – spazieren. Zum ersten Mal im Leben. Nichts destotrotz hält sein Mensch die Leine krampfhaft fest, so dass Fiffi höchstens 2-3 Meter Spielraum hat. Dabei spielt es für den Menschen meistens nicht die geringste Rolle, ob er einen Rottweiler oder einen Bolonka am Strick hat, er hängt sich rein, als müsste er einen Flugzeugträger an der Havarie hindern.
So, jetzt habt ihr schon so eine kleine Vorstellung, wie das aussehen kann und vielleicht findet ihr ja auch, dass das eine oder andere auf euren Start auch zutrifft. Weil – kein Witz – der Start sagt schon sehr viel über den weiteren Spaziergang aus und wenn ich nicht eingreife, gehts irgendwie so weiter: Hund versucht, irgendwo hin oder auch nur von seinem stressigen Menschen weg zu kommen, Mensch versucht, den Hund daran zu hindern. Letztendlich findet also an beiden Enden der Leine ein uferloses Gezerre statt, das alle Beteiligten nervt.
Freilauf? Wäre das die Lösung? Naja, hier bei mir manchmal und an bestimmten Stellen schon. Zum Beispiel könnten wir ihn ja einfach ohne Leine rauslaufen lassen, weil weit und breit nichts ist, was ihn gefährden könnte: die Nachbarskatzen sind hundeschulerprobt und längst auf der Couch in Sicherheit, die Straße ist 150 Meter weit weg und es fahren täglich vielleicht 10 bis 20 Autos vorbei, die man schon von weitem hört und – das Beste – die Hunde wollen natürlich erstmal alles erkunden, was da rumsteht und rumliegt: unser Holzlager beispielsweise, in dem es vermutlich von Mäusen und anderem Getier nur so wimmelt. Das Tor zum Gästegarten ist auch höchst interessant, vor allem wenn dahinter jemand zugange ist. Dann ist da noch das Gebüsch, in dem sich die Katzen immer verstecken. Das ist also schon eine Umgebung, die für Hunde recht spannend ist. Es ist auch eine gute Idee, Fiffi erstmal die nähere Umgebung frei erkunden zu lassen, aber spätestens danach muss er eben an die Leine, weil zuhause hat er solche Möglichkeiten nicht.
Und damit ein bisschen Schwung in die Bude kommt – oder eher ein bisschen mehr Ruhe, gehen wir bei seinen Erkundungen mit und finden alles sehr interessant, was er da so entdeckt. Die andere Variante ist: wir bleiben einfach ganz ruhig stehen mit Fiffi an der langen Leine, er nützt die Leine aus, wir erzählen ihm, dass das ganz super ist, was er da macht, warten, bis er zu uns zurück kommt, dann gibts einen Haufen Kekse, und schließlich gehen wir gemeinsam los. Egal wohin: zum Erkunden der Holzstöße oder zum Katzengebüsch oder raus auf die Wiese. Was er eben gerne möchte.
Und sehr, sehr schnell sehen die Menschen, dass man mit einem Hund ganz entspannt an der Schleppleine laufen kann, weil nämlich der Hund seine Hundedinge machen kann, die der Mensch zwar mitmachen kann, wenn er das möchte, aber nicht unbedingt muss. Ich muss nicht jedes Mauseloch inspizieren, das meine Hunde interessant finden, wenn die Wiese nass ist, kann ich auf dem Weg bleiben und von dort aus Bescheid geben, dass ich Mauselöcher auch toll finde.
Und dann gehen wir so weit, bis der Hund uns sagt, dass es jetzt reicht. Das kann nach 100 Metern sein oder nach einem Kilometer, egal, der Hund bestimmt, wie weit wir gehen. Und solange das möglich ist, auch wohin wir gehen. Und schon wieder stellen wir fest, dass die Schleppleine dabei ein sehr nützliches Instrument ist. Denn Fiffi kann eben auch mal am Waldrand ein bisschen weiter reinlaufen und wir bleiben draussen stehen und achten darauf, dass er nicht zu weit rein geht und die Wildtiere nicht beunruhigt. Oder er findet einen interessanten Geruch in der Wiese, z.B. einen Fuchsspur, und kann die ungestört untersuchen, während wir ihm zusehen und begeistert feststellen, dass unser Hund ein wahres Nasenwunder ist. Oder wir kommen an eine Kreuzung und Fiffi muss erstmal alle Möglichkeiten abklären, bis wir uns entscheiden, wo wir hinlaufen. Wir können dabei in aller Ruhe stehen bleiben und warten, bis er fertig ist. Oder er läuft 5-10 Meter vor uns und bleibt plötzlich stehen, weil sich eine sehr weite Aussicht auftut und wir hektische Menschen einfach weiter gelaufen wären, anstatt mit ihm diese schöne Aussicht zu genießen. An einer kurzen Leine wären wir in ihn hineingelaufen und hätten ihn weitergedrängt, im Freilauf hätten wir das vielleicht gar nicht mitbekommen.
Und wisst ihr, was ich spätestens nach dem 3. gemeinsamen Schleppleinenspaziergang von den Menschen höre: „Du hast mir ein Stück Lebensqualität zurückgegeben. Ich dachte immer, ich muss mit ihm Strecke machen und ihn so oft wie möglich frei laufen lassen, aber so ist das für uns beide viel entspannter.
Jetzt werden manche zu recht einwenden, dass ich ja nicht in der Stadt mit der 10-Meter-Leine laufen kann. Nein, an der einer 6-spurigen Ausfallstraße oder im engen Wohngebiet mit viel Verkehr ist das vermutlich keine gute Idee. Aber im Park, im Hundeauslaufgebiet, da geht das sehr wohl. Und auf dem Weg dahin, kann man ja eine 3-5-Meter-Leine nehmen. Weil: eine lange Leine kann ich kürzer nehmen, aber eine kurze nicht lang machen. Und in Ruhe laufen, den Hund seine Hundesachen machen lassen, teilnehmen an dem, was ihn interessiert, das ist überhaupt die beste Idee, die man für einen Spaziergang haben kann.
Probierts einfach aus. Ihr könnt nichts falsch machen.
Sehr toll & schön geschrieben, vielen Dank!
Danke, liebe Anja.
Was für ein herzerfrischender Text wieder, hab vielen Dank dafür! Wir sind auch Fans der Schleppleine und nutzen sie viel. Auf Waldwegen ist es manchmal nicht so einfach, wenn Greta mit Schleppleine Ruckzuck dreimal um einen Baum läuft. Inzwischen lasse ich dann einfach los, und nehme sie später entspannt wieder auf. Greta kehrt fast immer auf den Weg zurück. Und wenn nicht, kommt sie sehr schnell zurück und freut sich, weil ich mich so freue. Mit kurzer Leine und Freilauf klappte das Zurückkommen nicht gut.
Ja, liebe Coni, so einfach ist es. Lange Leine, entspanntes Laufen und ganz nebenbei klappts besser mit dem Rückruf.
Liebe Ute, ich muss oft schmunzeln beim Lesen Deiner Artikeln. Sie sind nie langweilig und voll Leben. Ich profitiere viel von Deinen Erfahrungen, sei es Neues zu erfahren oder sich zu erinnern. Ich benutze meine Schleppleinen bei meiner jagdbegeisterten Pina fast immer und ich kann durch Deine Beschreibungen mein Vorgehen nachbessern.
Pina ist nach einer OP am Dickdarm, wegen einem bösartigen Tumor, der sich viele Jahre entwickelt hat und in letzten Monaten sie sehr geschwächt hat. Durch Zufall entdeckt, rechtzeitig entfernt, hat ihr viel Vitalität und Spaß zurück gegeben. Aber die Schleppleine ist jetzt ein Muss.
Danke noch Mal für Deine guten Tips.
Liebe Grüße, Ursula
Liebe Ursula,
das freut mich, dass es der Süßen gut geht. So jung ist sie ja auch nicht mehr. Und natürlich freue ich mich, wenn dir meine Artikel gefallen.
Liebe Grüße
Ute