Die Freiheit, die ich meine…..

3. und letzter Teil: „Frei“lauf und 100%iger Rückruf – geht das überhaupt?

Die Hunde, die zur Zeit bei mir leben, kann ich nur sehr bedingt frei laufen lassen. Der Maxl war immer sehr an Wild und Katzen (!!!) interessiert, aber ohne Indiana war alles halb so dramatisch. Es durfte nur kein Fuchs und keine Katze vorbei kommen. Mittlerweile ist er über 13 Jahre alt, Katzen und Wild – bis auf den Fuchs – interessieren ihn nicht mehr so, aber er hört schlecht, sieht schlecht, da ist Freilauf sehr kritisch, denn wenn er mich verliert, steht er hilflos in der Gegend rum und kennt sich nicht mehr aus. Indiana muss zu mind. 95% an der Leine laufen, wenn wir nicht gerade im Winter an der Ostsee sind oder bei uns tagsüber über die großen Wiesen laufen. Sie ist eine sehr begabte Jägerin, was sich vermutlich im Laufe der Jahre gemildert hätte, denn sie möchte wirklich Beute machen. Wenn so ein Hund dauerhaft nichts erwischt, läßt die Begeisterung – mit viel Glück – irgendwann nach, oder eben auch nicht.

Vor den beiden hatte ich Hunde, die ich fast überall, ausser an öffentlichen Straßen und Plätzen, frei laufen lassen konnte. Allerdings liefen unsere alten Hunde so gut wie immer an der Leine, denn das war für beide Seiten sicherer. Abgesehen davon habe ich den Eindruck, dass alte Hunde wissen wollen, wo ihr Mensch ist. Wenn sie uns an der Leine haben, gehts ihnen einfach besser.

Jetzt kommen viele Menschen zu mir, gerade frischgebackene Hundebesitzer gehören zu dieser Kategorie, die sind felsenfest davon überzeugt, dass ein Hund definitiv unglücklich wird, wenn er nur an der Leine läuft, egal wie lang diese ist. Ich gebe ihnen recht, wenn es sich um eine kurze Leine handelt. Dass man an der Hauptstraße die Leine mal kürzer nimmt, ist klar. Aber alles was ausserhalb verkehrsreicher Zonen kürzer ist als 5, besser 10, 15 oder 20 Meter, ist indiskutabel. Denn lange Leinen kann ich kürzer nehmen, kurze aber nicht länger machen. Und wie, bitte schön, soll ein Hund seine Hundesachen erledigen, wenn er bei jeder Gelegenheit im Zug ist.

Da wäre es ja ideal, dass ich Bello ableinen könnte, sobald ich von der Hauptstraße weg bin, z.B. auf Nebenstraßen, auf der Wiese, im Wald, im Park, in der Siedlung…. das kann er doch lernen, oder?

Eine Berliner Freundin von mir ließ ihre Hündin in der Stadt immer frei laufen und hatte ihr beigebracht, am Strassenrand abzusitzen, egal wie das Wetter war, heiß, kalt, nass, und zwar genau am Strassenrand, nicht einen halben Meter davor, sondern genau auf der Bordsteinkante. Wer denkt, das wäre total super, weil …….- ja weiß ich auch nicht warum – , der soll sich einfach mal auf den Boden setzen direkt an der Bordsteinkante und nachvollziehen, wie nett es ist, wenn einem die Abgase ins Gesicht geblasen werden und die Autos an einem vorbeibrausen. Nässe, Hitze und Kälte lassen wir mal weg, aber die kommen noch dazu.

Dann durfte sich diese Hündin nicht weiter als. maximal 10 Meter entfernen, nach vorne versteht sich. Schließlich konnte ihr Frauchen dann sicher sein, dass sie keinen Unfug macht. Hinterhertrödeln war nicht drin, auch wenn irgendwelche Gerüche noch so interessant waren, das war nicht erlaubt.

Für den naiven Beobachter sieht so ein Spaziergang super aus: der Hund bleibt auf dem Bürgersteig, geht nie zu weit weg, ist immer in der Nähe und alles ist doch sehr entspannt, oder? Und meine Freundin war fest davon überzeugt, dass das zu 100% klappt, denn auch der Rückruf war entsprechend „auftrainiert“ worden: felsenfest und bombensicher.

Fünf Jahre lang ging das gut. Bis eines Tages eine Katze auf der anderen Straßenseite lief. Vielleicht hatte diese Katze die Hündin schon oft geärgert, ich weiß es nicht, jedenfalls war alles bombensicher und felsenfest zu 100% auftrainierte Zeugs mit einem Wimpernschlag erledigt und die Hündin rannte über die Straße hinter der Katze her. Natürlich kam in der relativ ruhigen und verkehrsarmen Siedlung genau in dem Moment ein Auto an, das zum Glück langsam fuhr und sofort stehenblieb. Bis auf den Riesenschreck, den meine Freundin bekam, ist also nichts passiert. Naja, nicht ganz. Dann ab sofort lief die Hündin an öffentlichen Straßen und Plätzen an der Leine.

Soviel zur 100% Zuverlässigkeit.

Aber es gibt ja tatsächlich Hunde, bei denen das offenbar funktioniert. Die laufen ganz brav da, wo sie eingewiesen werden, vor oder neben oder hinter ihrem Menschen je nach Trainerphilosophie. Die bleiben sofort stehen, wenn ihr Mensch auch nur Andeutungen macht, stehen zu bleiben, die gehen nie über die definierte Distanz hinaus, die kommen sofort in jeder Situation, egal wie interessant ihre Hundesachen gerade wären, scheint also zu klappen und diesen Hunden gehts doch auch gut, oder?

Ich glaube, es ist jedem klar, dass das kein Hund auf dieser Welt freiwillig macht. Auf alle die mehr oder weniger unerfreulichen Methoden, wie man einen Hund zu sowas bringt, einzugehen, ist nicht Sinn und Zweck dieses Artikels. Aber ist es vollkommen egal, wie ihr sowas aufbaut: mit Leinenruck und scharfen Kommandos, mit ständigem Abblocken, damit der Hund nur da läuft, wo mensch das gut findet, mit lieblichstem, positivem Gesäusel zum Rückruf mit Millionen feinster Leckerchen gefühlte 22.000 Mal am Tag….. es läuft letztendlich immer darauf hinaus, dass mensch seinem Hund seinen Willen aufzwängt, das Bedürfnis des Hundes vollkommen ignoriert, manche Sachen, die uns nicht interessieren, einfach mal in Ruhe zu erledigen. Da frage ich mich schon, wie man da auf die Idee kommt, dass das irgendwas mit „Freilauf“ oder „Freiheit“ zu tun haben könnte. Das ist Tyrannei vom Feinsten, egal ob mit positiver oder negativer Verstärkung aufgebaut, es ist für die Hunde einfach nur schlimm. Und wie man Beispiel oben sieht, nicht wirklich zuverlässig. Von den Nebenwirkungen, die so ein Training mit pausenlosem Druck und ständigen Forderungen und Ansprüchen an den Hund automatisch mit sich bringt, wollen wir mal lieber still sein. Irgendwann macht sich dieser Druck in irgendeiner Form völlig unerwartet Luft. Das kann sich in Aggressionen gegenüber Artgenossen, übersteigertem Jagdverhalten oder Autoaggression oder auch ganz anders äußern. Druck erzeugt Gegendruck, das ist nicht nur ein physikalischer Vorgang, das gilt auch für unterdrückte Seelen. Und der kommt irgendwann raus.

Freilauf heißt: mein Hund läuft ohne Leine durch die Welt und macht seine Sachen in dem Tempo und mit der Intension, die für ihn gut und richtig sind: Mauslöcher ausbuddeln, Vögel und Katzen jagen oder auch Radfahrer und Jogger, Wildspuren verfolgen, sich in Katzenkacke wälzen…. ihr könnt die Liste gern verlängern, jeder Hund hat da so seine Vorstellungen. Viele dieser guten Ideen finden wir aber gar nicht so gut. Denn egal was unser Hund lieber jagt – Jogger oder Katzen, das ist keine gesellschaftliche anerkannte Beschäftigung für Hunde. Das müssen wir unterbinden, nicht nur im Interesse unseres Hundes, sondern auch im Interesse der Jogger und Katzen. Solange also dieses 100%-Dings nicht klappt, muss (!!!) jeder Hund erstmal an die Leine. Warum geht man also nicht den umgekehrten Weg? Wir zeigen unserem Hund, dass Schleppleinen eine feine Sache sind, die ihm und uns sehr viel Freiraum geben, ihn absichern in der nicht ganz ungefährlichen Menschenwelt und lassen ihn nur dort von der Leine, wo tatsächlich nichts passieren kann, naja, tatsächlich. Dort wo wir ziemlich sicher sind, dass nichts passiert.

Zum Abschluss dieser kleinen Artikelserie möchte ich euch eine Episode erzählen, die ich heute mit meinen Hunden erlebt habe. Wir haben eine Runde über die große Wiese (ca. 30 Hektar) hinter unserem Anwesen gedreht, es war sehr kalt und im Schnee konnten wir gut sehen, wer aller unterwegs war: Hasen, der Fuchs, Rehe, einige Menschen und Hunde. Alles sehr interessant. Was ich nicht mitbekommen habe: als wir wieder Richtung Forsthaus liefen, kam von links eine Nachbarin mit ihrer Boxerhündin, die bei meinen Hunden nicht sehr beliebt ist. Die Hündin, nicht die Nachbarin. Da gibts immer ziemliches Gefluche und Geschimpfe von beiden Seiten, wenn wir bei der Nachbarin oder wenn sie bei uns vorbeigehen. Und es gab auch schon mal eine Keilerei zwischen ihr und dem Maxl, die für ihn beim Tierarzt geendet hat.

Jedenfalls versuche ich seit dieser Keilerei Lotti, der Boxerhündin, zu zeigen, dass wir tatsächlich nur mal bei ihr vorbei wollen und dass wir ihr ganz sicher immer ausweichen, z.B. indem wir über die Wiese in eine andere Richtung gehen und nicht direkt an ihrem Zaun entlang. Ja, und dann lief sie – angeleint – mit der Nachbarin auf einmal ca. 20 Meter unter uns vorbei. Im Nachhinein weiß ich, dass meine Hunde mir das schon vorher gesagt haben, nur dachte ich leider, sie erzählen mir was von den Rehen, die wir da oft sehen.

Meine Hunde waren auch angeleint, Indiana hat kurz zu ihr hingeschimpft, wir sind sofort stehengeblieben und sind einfach ein bisschen weggegangen. Damit Lotti versteht: sie hat Vorfahrt. Ich habe meine Hunde sehr gelobt, weil sie mir das so gut gezeigt haben, habe mich bei ihnen bedankt, weil sie sofort mit mir weggegangen sind, es gab ganz viele Kekse und ich habe ihnen erklärt, dass wir jetzt warten, bis Lotti und die Nachbarin hinter dem nächsten Hügel verschwunden sind, dann gehen wir weiter.

Die beiden sind relativ gemütlich weitergelaufen, aber Lotti musste sich schon immer wieder umdrehen, um sicher zu sein, dass wir sie nicht von hinten angreifen. Ich bin mir sicher, dass sie es sehr beruhigend fand, nur die Popos der beiden zu sehen, die Nasen waren auf dem Boden beim Keksesuchen. Schließlich sind wir hinterher gelaufen, wir wollten ja nach Hause. Wer jetzt denkt, dass es ein großes Gezerre gab immer hinter Lotti her, der täuscht sich. Sie mussten ganz genau ihre Spur untersuchen, hier und dort drüberpinkeln und dann waren schließlich die Spuren, die im Bruch verschwanden, deutlich wichtiger.

Vielleicht, ganz vielleicht hätte das auch geklappt, wenn sie nicht an der Leine gewesen wären. Vielleicht aber auch nicht. Und dieses Quentchen Unsicherheit hätte mich sicher nicht so locker reagieren lassen. Ich wusste ja, dass ich die Leinen in der Hand habe und deshalb nichts passieren kann. Und meine Gelassenheit hat es den Hunden natürlich auch leichter gemacht, locker zu bleiben. Stimmungsübertragung, erinnert ihr euch? Das klappt auch in diese Richtung. Ganz zu schweigen von Lotti, die ja allein gegen zwei wäre. Für sie war das auch wichtig, dass so eine nahe Begegnung recht entspannt verläuft.

Das wäre übrigens eine typische Situation, in der ein Hund, der mit viel Druck so ein 100%Dings aufs Auge gedrückt bekommt, einfach ausrastet. Vielleicht ist er müde oder er friert oder er hat Hunger oder er ist frustriert, weil er keine einzige Spur untersuchen durfte oder alles zusammen. Und dann kommt der Erzfeind vorbei.

Wir haben es mit Hunden zu tun, mit Lebewesen, die mal besser, mal schlechter drauf sind, die ihre eigenen Vorstellungen haben, wie man schwierige Situationen meistert. Und das muss nicht immer mit unseren Vorstellungen übereinstimmen. Wir sind auch nicht jeden Tag gleich. Wenn ich besser aufgepasst hätte, hätte ich schon verstanden, dass da ein Hund kommt, dem meine Hunde ausweichen wollen. Ich bin aber einfach weitergelaufen, bis Indiana deutlich wurde. Wer also wäre „schuld“ gewesen, wenn wir in Lotti reingerannt wären? Die Hunde mal sicher nicht.

Die Sprüche von Freiheit durch Freilauf sollte man sich sehr genau ansehen. Was versteht der Sprücheklopfer da wirklich drunter? Die Freiheit der Hunde oder seine eigene? Weil er – oder sie – sich nicht mehr um den Hund kümmern muss, weil der die Pflicht hat, sich zu 100% an seinem Menschen zu orientieren und auf ihn zu achten? Weil das der wahre Beweis für eine gute Bindung ist, wenn ein Hund nur auf seinen Menschen achtet? Wie praktisch! Dann kann ich ganz gemütlich durch die Gegend schlendern und meinen Gedanken nachhängen oder mit dem Handy spielen, weil mein Hund hat ja eine gute Bindung und hat einen 100%igen Gehorsam, oder? Bis es dann eben mal knallt. Wenn die Katze auf der anderen Straßenseite vorbeiläuft oder der Erbfeind um die Ecke kommt oder oder oder….

Gute Bindung, gute Erziehung, guter Gehorsam….. was auch immer, hat nichts mit irgendwelchen 100%Dingsen zu tun. Es hat was mit Vertrauen zu tun, damit dass wir achtsam mit unseren Hunden umgehen, dass wir unseren Hunden zeigen, wie sie gut mit uns durch unsere schwierige Menschenwelt kommen und dass wir ihre Bedürfnisse erfüllen so gut es eben geht. Und wenn wir ihnen das gut und freundlich nahe bringen, dann haben sie auch kein Problem damit, wenn manchmal manche Sachen nicht gehen, denn dann verstehen sie, dass es in unserem gemeinsamen Interesse ist, die Katze und den Jogger in Ruhe oder die Erbfeindin ungerupft vorbei laufen zu lassen.

4 Gedanken zu „Die Freiheit, die ich meine…..“

  1. Ein wunderbarer Morgen. Die Nacht hat die Stadt weiss eingepudert. Alle, die dichbesiedelten quartier Hunde haben wollen den ultimativen Moment der Freiheit erwischen. Wo noch keine winzlinge mit schlitten wild lachend zur schule jauchzen. Keine Salzlachen die weisse Pracht beflecken.
    Wir erkennen in dem Gewusel unterschiedlichster bunter Schleppleinen, wollen wir Raum geben und gehen auf’s Land. Ai was für ein Ausdruck in den Hundeaugen. Viele Spuren vom wild werden untersucht. Bald schon ein Stück Bussardflügel in einem Kampffeld von Fuchs und Vogel. Mein Hund bleibt nachdem ich den Fund gewürdigt habe wieder stehen, schaut in die Ferne an den Waldrand. Dort beobachten wir wie ein wirklich prächtiger Fuchs geschwind in den Bau einschlieft.
    Ein gegenseitiges Blick und wir schlendern noch etwas Richtund Wald. Wissend, dass Reh, Fuchs, Sau sich dort in den Brombeeren hinlegen.
    So beschliessen wir den Weg über das Feld zu nehmen. Mein Hund schlendert etwas der Hecke nach, wagt einen Mäuselsprung. Trödelt mir nach…Nur als ich eine Mutter und ihre etwa 6jährige Tochter hoch zu Ross sehe, sichere ich meinen Hund mit der Leine ab. Man muss kein Risiko provozieren. Beim Stellplatz werfen ich dem wedelnden Freund noch ein paar bälle, das liebt er. Schön war’s – mir gefällt es gut unseren beiden Seelen verbunden zu wissen und Vertrauen zu haben. Doch das ist ein Prozess und hat viel Ressourcen benötigt🧡

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  2. Danke!!!! Ich habe einen wundervollen Herdi Mix, der auch einen sehr eigenen Kopf hat (das sollte man wissen), und der „mal hört, mal auch nicht“, weil etwas anderes zu diesem Zeitpunkt wichtiger ist. Ich war am WE in HH zum „Ullihunde“ kennenlernen. Das passt super für uns. Ich muss halt lernen, es umzusetzen. Ich habe aufgrund eines Schleppleinenunfalls mit meinem Hund (ein sehr schwerer Unfall) ein Trauma bzgl. dieser langen Leinen. Meine wunderbare Ullihunde „Übersetzerin“ hat mich sehr gut unterstützt, aber ein Trauma heilt sich leider nicht nach einer tollen Begegnung. Leider hatte ich immer ein schlechtes Gewissen wegen der Leine (unser Goldi vorher konnte immer und überall ohne Leine laufen – genau aus den Gründen wie oben beschrieben). Man kann es tatsächlich aber auch anders sehen. Es ist eine Verbindung und es dient der Sicherheit unseres Hundes und der Rehe und Hasen in unserem Umfeld. Das gibt mir ein gutes Gefühl.

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    • Viel Glück und Erfolg, liebe Sabine, eurem weiteren Weg. Gerade Herdis sind so wunderbare Begleiter und man lernt so viel von ihnen. Wie schön, dass du auch fem Ulliweg bist und schade, dass wir uns im Hamburg nicht gekannt haben.

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