Mal nix über Hunde, sondern was über ihre wilden Verwandten

Wer das Forsthaus Metzelthin kennt oder mal auf der Karte nachschaut, wo wir wohnen, der stellt fest, dass wir in der schönen Uckermark in Brandenburg mitten im Wald leben. Brandenburg – das Wolfsland schlechthin. Lt. der aktuellen Broschüre des brandenburgischen Ministeriums für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz werden für das Jahr 2019/2020 57 Wolfsterritorien bestätigt, 47 Rudel und 10 Paare. Mittlerweile sind es wieder ein paar mehr, denn die Wölfe vermehren sich und besetzen neue Reviere so lange, bis Neugründungen nicht mehr möglich sind. Dann wandern die Jährlinge in weiter entfernte Gebiete ab oder besetzen frei gewordene Reviere.

Das ist ein normaler Vorgang, den man vermutlich bei allen Säugetieren beobachten kann, die bislang unbesiedelte Gebiete erobern. Dass sich nicht alle Menschen über die Zuwanderung und Sesshaftwerdung der Wölfe freuen, ist bekannt. Aber manchmal fragt man sich, was die so rauchen, da die Argumente gegen die Wölfe teilweise so hanebüchen ist, dass Rotkäppchen oder die 7 Geißlein schon fast wie reale Figuren wirken.

Im Uckermark Kurier vom 8. April stand ein Leserbrief, den eine Dame aus einem unserer Nachbardörfer geschrieben hatte. Zitat: „Bei der Lektüre des Artikels, in dem über die lobenswerte Müllsammelaktion berichtet wurde, dachte ich spontan an die Sicherheit von Kindern im Wald, die von einer ganz anderen Gefahr in Zukunft bedroht sein kann: Von der sich rasant vergrößernden Wolfspopulation, auch schon in Dorfnähe und im besiedelten ländlichen Raum. In Brandenburg leben inzwischen mindestens 47 Rudel und 14 Paare, gemessen im „Wolfsjahr 2021/22“. Damit ist die Wolfsdichte in Brandenburg die höchste in Europa – wesentlich höher als zum Beispiel in Schweden, wo Wölfe schon lange bejagt werden. Ich war „not amused“, als wir an Heiligabend, kurz nachdem wir das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen hatten, von draußen aus dem Wald überdeutlich das Geheul eines Wolfsrudels hörten. „Sind wir jetzt in Sibirien“, dachte ich, „bei zwölf Grad plus?“

Die gnädige Frau hat interessante Vorstellungen von „rasant“. Innerhalb von einem Jahr – vier Territorien mehr ist rasant? Tatsächlich?

Und dann ist mir doch glatt was entgangen. Denn wir wohnen jetzt seit 2005 hier und haben – leider – noch nie die Wölfe heulen hören. Vielleicht liegt es daran, dass wir nicht „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen, vielleicht aber auch weil wir nicht an Ammenmärchen glauben. Selbst wenn wir früh zu Bett gehen – zumindest unsere Hunde würden die Wölfe hören und uns vermutlich aufwecken, außerdem liegt unser Schlafzimmer zum Wald hin und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass ausgerechnet wir, die fast komplett von Wald umgeben sind, die Wölfe nicht hören, dagegen andere Uckermärker Dorfbewohner sehr wohl.

Des weiteren beklagt sich die Dame über die zahlreichen Wolfsrisse an Nutztieren, die angeblich im Nachbardorf Warthe passiert sind. Sehr erstaunlich, dass der Förster, bei dem wir unser Holz kaufen, noch nie darauf zu sprechen kam, denn wir unterhalten uns öfter mal mit ihm über die mittlerweile ansässigen Wölfe. Er findet das übrigens gut, dass es hier jetzt Wölfe gibt, denn die reduzieren den Verbiss an jungen Büschen und Bäumen.

Auch meine Freunde und Bekannte, die dort wohnen, hätten doch mit Sicherheit mal darüber gesprochen. Vermutlich geht es aber weniger um Risse an Nutztieren, sondern eher darum, dass die Gnädige auch Jagdpächter hat, die wir übrigens kennen, weil sie öfter mal bei uns Gäste unterbringen. Diese Jagdpächter haben – nach unserer Kenntnis – kein Problem mit den Wölfen, ganz im Gegenteil. Denn es gibt auch Jäger, die die Anwesenheit der Wölfe begrüßen. Aber vielleicht hat sie noch mehr Bekannte unter der örtlichen Jägerschaft, die große Angst davor haben, dass der Wolf ihnen die begehrte Beute wegschnappt. Also weniger die kranken Wildschweine oder Rehe, sondern mehr so die kapitalen Hirsche – an die sich Wölfe, wenn sie leichtere Beute haben können, gar nicht herantrauen.

Diese Jäger haben ihr – angeblich – gesteckt: Zitat „Ein Jäger, der zur Erfüllung des Abschussplanes verpflichtet ist, sagte mir, er habe ein „ungutes Gefühl“, wenn er in der Dunkelheit vom Ansitz zurückkehrt.“ Oho! Auch was Neues. Hier ist es nämlich durchaus üblich und möglich, sehr nahe an die Jagdkanzeln heranzufahren. Dass ein schwer bewaffneter Jäger Schiss haben sollte, die wenigen Meter, die ihn von seinem Auto trennen, zu bewältigen, halte ich dann doch für ein Gerücht. Ebenso ist es mit Sicherheit ein Gerücht, dass der böse Wolf genau hinterm Hochsitz lauert, um den gut genährten und damit nahrhaften Jäger zu erbeuten.

Und natürlich macht sich die Dame auch große Sorgen um die Pilzsammler und die Kinder, die im Wald spielen. Da kann ich sie beruhigen. Ich bin mit meinen Hunden durchaus auf abseitigen Wegen unterwegs und da wir haben noch nie einen Wolf gesehen, höchstens die Reste seiner Mahlzeiten, die mir meine Hunde begeistert zeigen. Und um noch mehr Beruhigung in die Sache zu bringen: Hunde sind sicher in der Nähe ihres Menschen. Denn – und jetzt alle aufpassen: Menschen gehören nicht – also NICHT – ins Beuteschema von Wölfen. Im Gegensatz zu Hunden, die als Eindringlinge ins Revier angesehen und deshalb vernichtet und vermutlich auch gefressen werden. Deshalb soll man Hunde in Wolfsrevieren ja auch an der Leine führen. In Brandenburg ist sowieso ganzjährig Anleinpflicht, also ist dieses Problem schon mal gelöst. Das gilt übrigens auch für Jäger, wenn der Hund nicht gerade jagdlich eingesetzt wird.

Menschen und Caniden sind Nahrungskonkurrenten. Das ist wahrscheinlich auch das, was die Jäger so ärgert, denn Wölfe sind nicht nur sehr effektive Jäger, sondern sie sorgen dafür, dass das Wild nicht mehr gar so sorglos ist und deshalb nicht immer so ganz einfach vom Hochsitz aus abgeschossen werden kann. Die Sorgen, die sich die Lady wegen dem Wild macht, das der Wolf in der Uckermark demnächst ausrottet, sind auch unbegründet. Sollte sie sich jemals damit befassen, wie das in freier Wildbahn, in die der Mensch sich nicht einmischt, abläuft, dann wird sie erstaunt feststellen, dass sich die Anzahl der Beutegreifer danach richtet, wieviel Beutetiere vorhanden sind. Viele Beutetiere – viele Beutegreifer, wenig Beutetiere – wenig Beutegreifer. Das ist sehr einfach nachzuvollziehen: es sterben sowieso im ersten Jahr mindestens 50% aller Welpen. In Jahren, in denen es wenig zu fressen gibt, weil es z.B. sehr wenig Beutetiere gibt und die Jagd mühsam und aufwendig ist, können schon mal alle verhungern. Das geht so lange, bis wieder genug Futter für die Kinder da ist und sie überleben.

Bitte, gern geschehen, ich bin doch mit Freunden bereit, immer mal wieder allseits bekannte Fakten unters interessierte Volk zu bringen.

Ja, und die Kinder, die könnten doch gefährdet sein.

Das wäre evtl. schon möglich, nur – es gibt meines Wissens nach keine Kinder im Dorf, die sich pausenlos im Wald herumtreiben und dort von hungrigen Wölfen verfolgt werden. Und selbst wenn wieder mehr Kinder hier leben würden, was ja sehr zu wünschen wäre, dann kann man sicher Maßnahmen ergreifen, dass sie kein Wolfsfutter werden. So wie rumänische, bulgarische, russische, polnische und andere Kinder aus Regionen, in denen Wölfe vorkommen, auch überleben. Und Pilzsucher? Naja, wie gesagt: Menschen gehören nicht zum Beuteschema von Wölfen und wenn sie einen von uns sehen, machen sie sich tunlichst vom Acker. Sie wissen schon, dass Menschen Ärger machen und wolf denen lieber ausweicht.

Was mich aber wirklich irritiert: die Familie der Gnädigen besitzt große Waldgebiete um Metzelthin, sie sollte sich also besser darüber freuen, wenn die Wölfe für gesunde Wälder sorgen. Wild ist für den Wald nicht unbedingt gut, außer man ist Jäger. Wölfe halten nicht nur den Wildbestand gesund, da sie sich an die kranken und schwachen Tier halten, sie sorgen auch dafür, dass die Rehe und Hirsche nicht gemütlich tagelang irgendwo rumstehen und sich am Waldnachwuchs bedienen. Das Wild ist unruhiger, wandert mehr, und hat einfach nicht so viel Zeit, dem Wald zu schaden. Und das ist der Grund, warum Wölfe bei Förstern durchaus beliebt sind.

Zu der Thematik Nutztiere: für die ist – ganz genau wie für die Wildtiere – der Mensch deutlich gefährlicher. Mir ist nicht bekannt, dass egal welcher Landwirt auch immer seine Rinder oder Schafe rein zum Vergnügen hat. Die werden – falls jemand das noch nicht wusste, bitte merken – früher oder später geschlachtet. Wenn also Wölfe in der Nachbarschaft leben, dann muss man damit rechnen, dass sie den Weg den geringsten Widerstandes gehen und sich eben auch an Nutztieren vergreifen. Wölfe kennen das mit dem Alleinanspruch auf Essen nicht. Was in der Gegend rumsteht und nicht schnell genug wegkommt, wird Abendbrot. Das wissen z.B. italienische Landwirte und Schäfer und deshalb schützen sie ihre Tiere entweder mit vernünftigen Zäunen oder mit Hunden. Man könnte ja einfach mal ein bisschen über den Tellerrand schauen und von anderen was lernen. Wenn man dann noch weiß, dass nachweislich deutlich über 90% der Wolfsbeute Wildtiere sind, dann könnten die Landwirte, wenn sie sich an die subventionierten Maßnahmen halten, eigentlich ruhig schlafen.

Alles in allem: es einfach nur absurd, wenn jemand einen so albernen Text von sich gibt. Das hat nichts mit der Realität zu tun, das ist einfach populistisches Geschwätz, das die Druckfarbe und das Papier nicht wert ist, auf dem es gedruckt wurde. Schade, dass die Zeitungen immer wieder so ein dämliches Zeug veröffentlichen und sich nicht an an die Tatsachen halten.