…. du gehst fort…

Leben gibt es nur, weil es auch den Tod gibt. Ein Freundin von mir behauptet, dass immer, wenn in ihrer sehr großen Familie jemand stirbt, ein Kind geboren wird. Sie erklärt das damit, dass ein Platz frei geworden ist, der wieder belegt werden kann. Ob das stimmt, weiß ich nicht, aber ich finde, das ist eine sehr schöne Erklärung dafür, dass einer gehen muss, damit ein anderer kommen kann.

Das nützt uns nur leider nichts, wenn jemand, den wir sehr lieben, sich auf den Weg macht. Und gerade wenn es um einen geliebten Hund geht, dann wird es besonders schwer. Denn Hunde leben nun mal nicht so lange wie wir. Wer das schon hinter sich, weiß, wie schnell die Jahre verfliegen. Oft hat man den Eindruck, dass der kleine Fiffi gerade noch ein Welpe war, und schon ist er ein großer Bodo, ein richtig gestandenes Mannsbild und ganz plötzlich hat man einen Hundeopa an der Seite. Und wenn man die Anzeichen kennt, dann wird einem angst und bang, weil man weiß, wie schnell die Uhr abläuft.

Eine liebe Kollegin hat mich gebeten, zu diesem Thema ein paar Worte zu schreiben. Sie hat kürzlich ihre wunderbare Hündin verloren, die ich auch kennenlernen durfte. Diesen Gefallen will ich ihr gerne tun, in Gedenken an ihr Mädchen und vielleicht zum Trost für die Kollegin.

Bis jetzt habe ich sechs Hunde bei uns sterben sehen, drei davon wurden vom Tierarzt euthanisiert – oder eingeschläfert, – drei konnten auf natürliche Art und Weise sterben. Sie haben sich auf ihren letzten Weg gemacht und mein Mann und ich haben sie begleitet.

Da wir alle nie wirklich gelernt haben, mit dem Thema Sterben und Tod umzugehen, fällt es vielen Menschen sehr schwer, nicht den Tierarzt zu rufen, wenn es so weit ist, oder wenn sie glauben, dass es so weit ist. Denn das ist ein Unterschied, den zu erkennen nicht einfach ist. Selbstverständlich gibt es auch viele Situationen, in denen es eine große Erlösung für den Hund ist, wenn ihm vom Tierarzt geholfen wird, aber in sehr viel mehr Fällen ist es nicht notwendig.

Meine erste Hündin hatte Knochenkrebs, ihr Schultergelenk befand sich schon in Auflösung, sie hatte entsetzliche Schmerzen und wir hatten keine Ahnung, wo sich schon überall Metastasen gebildet hatten. Heute würde ich zuerst mal zusehen, dass sie schmerzfrei noch gute Tage hat und wenn das nicht mehr möglich ist, würde ich den Tierarzt anrufen. Selbstverständlich. Aber damals haben wir gleich nach der Diagnose mit dem Tierarzt einen Termin bei uns zu Hause vereinbart. Da ist sie dann in meinen Armen gestorben.

Die beiden anderen Hunde würden heute allein gehen dürfen. Wir haben ihnen einfach den letzten Schritt „erspart“. Aber war das wirklich notwendig? Es ist müssig, sich Jahrzehnte danach noch den Kopf zu zerbrechen, denn das macht nichts ungeschehen. Aber es ist wichtig, sich darüber klar zu werden, dass jedes Lebewesen etwas ganz sicher alleine kann: sterben. Und wenn man uns läßt und wir keinem Gewaltverbrechen oder einem Unfall zum Opfer fallen, dann sind wir sehr wohl in der Lage für uns zu entscheiden, wann wir gehen wollen. Hunde auch.

Hunde, die sich zum Sterben aufmachen, verändern sich sehr schnell und radikal. Sie wollen nicht mehr essen, nicht mehr trinken, nicht mehr laufen. Ihr Blick ist weit weg, sie sehen uns nicht mehr, obwohl die Augen noch funktionieren, sie hören uns nicht mehr, auch wenn die Ohren noch gut sind. Ihre Seele ist schon auf dem Weg und nur der Körper ist noch da und atmet. Und das tut sehr weh. Wenn sie ein gutes Leben und viel Liebe erfahren haben, wenn sie keine Schmerzen haben und wir bei ihnen bleiben und sie unterstützen, dann können sie sich in aller Ruhe verabschieden und langsam aufmachen. Wenn ihr Leben nicht so einfach war, dann kann es schon passieren, dass die letzten Wochen und Tage sehr unruhig sind, dass sie auf keinen Fall mehr alleine bleiben wollen, jammern, weinen, bellen….. als hätten sie Schmerzen.

Ich habe das bisher einmal erlebt. Dieser Hund kam mit 13 1/2 Jahren zu uns und hat sein Leben bis dahin im Zwinger verbracht. 3 1/2 Jahre hat er noch bei uns gelebt und erfahren, wie schön es ist, als geliebter Hund in einer freundlichen Gemeinschaft zu leben. Aber die letzten Wochen waren trotzdem für ihn und auch für uns und die anderen Hunde sehr schwer. Er konnte nicht mehr gut laufen, wir mussten ihn halten, wenn er mal raus musste, er war sehr unruhig, hat versucht, seiner Unruhe durch Laufen in der Wohnung Herr zu werden, konnte den Kot manchmal nicht mehr halten….. das bringt einen schon an seine Grenzen. Aber ich bin sehr froh, dass wir das durchgehalten haben, denn gerade dieser Hund konnte so lange in seinem Leben nichts selber bestimmen und er musste einfach noch viel aufarbeiten. Es war gut für ihn und uns, dass er dann gehen konnte, als alles für ihn erledigt war.

Die beiden anderen Hunde, die schon ein Paar Jahre vor ihm gegangen waren, sind friedlich eingeschlafen. Obwohl er ein paar Tage vorher noch fit und vergnügt war, hat mein kleiner Fritzi sich – für mich überraschend – von einem Tag auf den anderen entschlossen, dass es jetzt Zeit ist zu gehen. Er hat ein paar Tage gebraucht und wurde immer schwächer, aber er war ruhig und einverstanden mit dem, was passierte. Am letzten Abend wollte er nochmal einen Rundgang über den Hof machen, er hat nochmal alle Ausgänge inspiziert, sich vom Auto verabschiedet, dann ist er mit mir wieder ins Haus. Und nach einer ruhigen Nacht ist er zwischen uns am frühen Morgen friedlich eingeschlafen.

Unsere Loni hat an ihrem letzten Tag meinem Mann nochmal gesagt, wo sie spazieren gehen möchte, hat mit Appetit zu Abend gegessen, abends mit meinem Mann ausgiebig auf der Couch gekuschelt, ist nochmal raus zum Pipimachen, alleine die Treppe hoch ins Schlafzimmer und hat sich in ihr Körbchen gelegt. Und als mein Mann früh um 6 mit ihr rauswollte, weil sie nicht mehr lange durchgehalten hat, war sie schon kalt. Sie muss gegangen sein, unmittelbar nachdem wir das Licht ausgemacht haben.

Ich bin keine gute Begleiterin beim Sterben. Natürlich tue ich alles, damit es dem Hund dabei so gut wie möglich geht. Ich wasche ihm vorsichtig den Mund, damit die Schleimhäute nicht austrocknen, halte ihn beim Pipimachen, mache ihn sauber, wenn er den Kot und Urin nicht mehr halten kann….. Ich tue alles, damit ich jede Minute, jede Sekunde noch erlebe, die er bei mir ist. Aber eigentlich will ich ihn nicht gehen lassen. Es fällt mir unendlich schwer zu akzeptieren, dass genau dieser Hund jetzt nicht mehr bei mir sein kann, dass er steif und kalt daliegt, nicht mehr atmet, dass nur noch die vielgeliebte Hülle vor mir liegt, aber das was ihn ausgemacht hat, seine Seele ist fort, wenn wir ihn in den Sarg legen und beerdigen werden, und dass er dann endgültig fort ist, einfach fort und nie wieder zurückkommt. Wenn ich nur daran denke, so wie jetzt, fange ich an zu heulen.

Aber es wird wieder passieren. Unser Maxl war im August 13 Jahre, Indiana ist 9, wer weiß, wie lange sie noch bei uns bleiben. Und wenn sie so gehen können, wie sie das möchten, dann wird es eben wieder so sein. Auch wenn es mir beim Gedanken daran das Herz zerreisst.

Deshalb ist es wichtig, dass wir uns gut vorbereiten, wenn wir beschließen, diesmal den Tierarzt nur zu holen, wenn der Hund so unerträgliche Schmerzen hat, dass man sie nicht lindern kann. Das kann bei Tumoren oder sehr schweren Verletzungen der Fall sein. Und kein Mensch muss deshalb ein schlechtes Gewissen haben. Aber wenn wir ihn gehen lassen, zu einem Zeitpunkt gehen lassen, den er bestimmt, dann müssen wir das auch durchhalten. Dann müssen wir sicher sein, dass seine Unruhe nicht von Schmerzen kommt, sondern dass er dabei ist, alte Erlebnisse aufzuarbeiten. Allein die Tatsache, dass wir leiden, ist kein Grund für die Spritze. Denn jetzt ist der letzte Moment gekommen, an dem wir ihm noch einmal unsere Liebe zeigen können, indem wir bedingungslos rund um die Uhr für ihn da sind, so lange er uns braucht. Wenn er den letzten Atemzug getan ist, ist es zu spät.

Ein Sterbender – egal ob Hund oder Katze oder Mensch – hat alle Vorrechte. Nichts zählt mehr ausser ihm und seinen Bedürfnissen. Dem wird alles untergeordnet. Es dauert nicht lange, ganz sicher. Im Gegenteil, es geht viel zu schnell vorbei. Hunde sterben in der Regel innerhalb weniger Tage. Aber das Glück, noch sein weiches Fell zu streicheln, seinen Atem zu spüren, in seine schönen Augen zu sehen, dieses Glück noch ein paar Tage, einige Stunden und Minuten erleben zu dürfen, ist jede Mühe wert.

Und deshalb ist es auch so wichtig, dass wir sein ganzes Leben lang seine Bedürfnisse erkennen, achten und so weit es geht erfüllen. Ein Hund, der immer ganz hinten in der Reihe steht, der kann auch in seinen letzten Zügen nicht sagen, was er braucht und wir verstehen es nicht. Unser lieber Anton, der bei uns noch gelernt hat, dass er „nein“ sagen kann, dass er anmelden kann, wenn er etwas möchte oder eben auch nicht, hat sich für seine letzten Stunden meinen Mann als Begleiter ausgesucht. Ich war viel zu aufgeregt und unglücklich ihn zu verlieren. Wenn Anton unruhig wurde und ich versuchte ihn zu beruhigen, wurde es nur schlimmer. Mein Mann hat sich zu ihm gesetzt, ihn gestreichelt, und Anton wurde ruhig.

In seiner letzten Nacht hat mein Mann seine Matratze neben Antons Kissen gelegt und seine Hand war immer bei ihm. Als er gegen 2 Uhr mal raus musste, hat Anton nach ihm gerufen. Er kam wieder, hat sich zu ihm gelegt und ihn gestreichelt. So sind sie beide eingeschlafen, mit der Hand an der Antons Brust, nur Anton ist nicht mehr aufgewacht. Aber er wußte bis zuletzt, dass jemand, der ihn sehr liebt, bei ihm ist und ihm beim letzten Schritt, den jeder selber tun muss, beisteht.

Es gibt zu diesem Thema noch viel zu sagen, aber das sprengt den Rahmen so eines Artikels. Wenn ich mit dem, was ich hier geschrieben habe, erreiche, dass mehr Menschen darüber nachdenken, ihre Hunde ohne Spritze gehen zu lassen und sie dabei gut und fürsorglich begleiten, dann habe ich sehr viel erreicht.

Es gibt ein sehr hilfreiches Buch, in dem der Sterbeprozess gut erläutert wird: Rosina Sonnenschmidt, Exkarnation – Der große Wandel. Ich kann es jedem nur empfehlen, der sich mit der Thematik befassen möchte.

6 Gedanken zu „…. du gehst fort…“

  1. Liebe Ute, vielen Dank für diesen wunderbaren, klugen Artikel. Zwar laufen mir die Tränen, aber du sprichst mir aus dem Herzen. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen diesen Artikel lesen können. Und vielleicht etwas daraus lernen? Eine Anregung haben, umzudenken? Ich hoffe, dass uns dieser letzte Weg noch lange nicht bevorsteht. Aber wenn, dann wollen wir ihn gemeinsam gehen.

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